»Komm näher, aber bitte bleib ganz nah!“ – der ängstlich-ambivalente Bindungsstil

Manch­mal rei­chen zwei blaue Häk­chen aus, um Unru­he aus­zu­lö­sen. Die Nach­richt wur­de gele­sen, aber kei­ne Ant­wort kommt zurück. Kei­ne gro­ße Sache – und doch beginnt etwas zu krei­sen: Gedan­ken, Zwei­fel, Interpretationen. 

»Habe ich etwas Fal­sches gesagt?« 
»Bin ich zu viel?«
»War­um dau­ert das so lan­ge?«

Men­schen mit einem ängst­lich-ambi­va­len­ten Bin­dungs­stil erle­ben Nähe sel­ten als selbst­ver­ständ­lich. Sie seh­nen sich danach, gleich­zei­tig miss­trau­en sie ihr. Was sie brau­chen, ist Ver­bin­dung – was sie fürch­ten, ist ihr Ver­lust. Die Ambi­va­lenz liegt nicht in der Hal­tung zur Bezie­hung, son­dern in der Sicher­heit, dass sie bleibt.


Ein vertrauter Widerspruch

In der Theo­rie klingt das viel­leicht kom­pli­ziert, in der Pra­xis ist es All­tag für vie­le: Nähe wird gesucht, oft inten­siv. Die Zunei­gung des Gegen­übers wird gespürt – aber nicht ver­in­ner­licht. Jeder klei­ne Abstand wird regis­triert, oft über­in­ter­pre­tiert. Ein Tag ohne Nach­richt kann sich anfüh­len wie ein stil­les Bezie­hungs­en­de, auch wenn objek­tiv nichts pas­siert ist.

Die­se Men­schen den­ken und füh­len viel – manch­mal zu viel für ein emo­tio­na­les Gleich­ge­wicht. Sie hören Zwi­schen­tö­ne, wo ande­re noch gar nichts gesagt haben. Und sie stel­len Fra­gen, die kei­ne Kon­trol­le wol­len, son­dern Sicher­heit: »Ist alles gut zwi­schen uns?« heißt in Wahr­heit oft: »Kann ich mich wei­ter ent­span­nen?«


Bindungschaos

Nähe gefun­den – jetzt bit­te bestä­ti­gen. Mehrfach.

  • Zunei­gung? Gesehen.
  • Ver­trau­en? Wird geprüft.
  • Nach­richt? Gele­sen. Aber wo bleibt das Herzchen?

Typisch:

»Ich will ein­fach nur wis­sen, dass alles okay ist.«
(Heißt in Wirk­lich­keit: »Ich habe Angst, dass es nicht mehr reicht.«)

Nicht über­trie­ben – nur überfühlt.


Herkunft: Beziehung war nie ganz sicher

Psy­cho­lo­gisch betrach­tet geht die­ser Stil häu­fig auf frü­he Erfah­run­gen zurück, in denen Bin­dung nicht kon­stant ver­füg­bar war. Eltern oder ande­re Bezugs­per­so­nen waren viel­leicht lie­be­voll, aber nicht immer prä­sent – emo­tio­nal oder kör­per­lich. Das Kind lern­te: Lie­be ist mög­lich, aber sie ist fra­gil. Nähe ist wert­voll, aber sie kann jeder­zeit ent­zo­gen werden.

Was dar­aus ent­steht, ist kein Miss­trau­en gegen­über Men­schen, son­dern ein tief ver­an­ker­tes Miss­trau­en gegen­über emo­tio­na­ler Sicherheit.


Was hilft – was nicht

Nicht hilf­reich ist der Ver­such, sich zu »ent­sen­si­bi­li­sie­ren« oder emo­tio­na­le Bedürf­nis­se her­un­ter­zu­spie­len. Men­schen mit ängst­lich-ambi­va­len­tem Stil sind nicht »zu emo­tio­nal«, son­dern beson­ders fein­füh­lig – und die­se Fähig­keit ver­dient Aner­ken­nung, nicht Abwertung.

Hilf­reich sind statt­des­sen Ritua­le zur Selbst­be­ru­hi­gung, die unab­hän­gig von der Reak­ti­on ande­rer funk­tio­nie­ren. Auch das bewuss­te Benen­nen von Gefüh­len (ohne Schuld­zu­wei­sung) kann viel ent­las­ten. Wer sagt: »Ich spü­re gera­de Unsi­cher­heit«, schafft Raum für Bezie­hung, ohne Druck zu erzeugen.

Ein wei­te­rer Schlüs­sel liegt dar­in, sich selbst eine Ver­läss­lich­keit zu bie­ten, die frü­her viel­leicht gefehlt hat: durch Klar­heit, Selbst­mit­ge­fühl und die Erkennt­nis, dass emo­tio­na­le Sicher­heit nicht immer von außen kom­men muss.


Eine stille Stärke

Der ängst­lich-ambi­va­len­te Stil ist kein Bezie­hungs­pro­blem, son­dern eine Bezie­hungs­rea­li­tät. Wer so fühlt, ist nicht »zu viel«. Viel­leicht ein­fach nur: sehr wach. Sehr auf­merk­sam. Und sehr dar­auf bedacht, dass Ver­bin­dung bleibt, wo sie gut tut.

Und genau dar­in liegt – wenn man genau­er hin­sieht – eine beson­de­re Fähig­keit: die Kunst, Bezie­hun­gen ernst zu neh­men. Auch wenn es manch­mal schwer­fällt, sich selbst dar­in zu halten.


Titel­bild von: FREEP!K

PikBube
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