»Ich brauche Raum! Nein, mehr Raum!« – der vermeidende Bindungsstil

Nicht jede Form von Distanz ist Lieb­lo­sig­keit. Nicht jede Zurück­hal­tung bedeu­tet Des­in­ter­es­se. Und nicht jede Stil­le ist gleich­be­deu­tend mit Rückzug.

Men­schen mit ver­mei­den­dem Bin­dungs­stil erle­ben Nähe anders – nicht als wär­mend oder beru­hi­gend, son­dern oft als Druck. Die Vor­stel­lung, sich emo­tio­nal zu zei­gen, kann Unbe­ha­gen aus­lö­sen. Der Wunsch nach Auto­no­mie steht im Vor­der­grund. Und genau das macht Bezie­hun­gen oft schwie­rig – nicht nur für die ande­ren, son­dern auch für die Per­son selbst.


Nähe wird schnell zu viel

Wer Nähe als Über­for­de­rung erlebt, reagiert dar­auf mit Abstand. Gesprä­che wer­den ver­mie­den, wenn sie zu emo­tio­nal wer­den. Kon­flik­te aus­ge­ses­sen, statt ange­spro­chen. Inti­mi­tät dosiert – oder in Momen­ten ange­bo­ten, in denen das Gegen­über schon auf Distanz gegan­gen ist.

Was von außen wie Käl­te wirkt, ist oft ein inne­rer Schutz­me­cha­nis­mus. Nähe bedeu­tet Kon­trol­le abzu­ge­ben. Und das ist für Men­schen mit ver­mei­den­dem Bin­dungs­stil kaum aus­zu­hal­ten. Denn Nähe macht ver­letz­lich. Und wer früh gelernt hat, dass Emo­tio­nen kei­ne siche­re Hei­mat bie­ten, der lernt, sie zu minimieren.


Distanzkunst

🚪 Nähe? Ja – aber bit­te durch die Gegensprechanlage.

  • Bezie­hung? Ger­ne. Mit eige­ner Woh­nung. Eige­ner Mei­nung. Eige­ner Fluchttür.
  • Gefüh­le? Schon da – aber unter Verschluss.
  • Kon­flik­te? Lie­ber »spä­ter«, was oft »nie« bedeutet.

Typisch:

»Ich brau­che ein­fach Zeit für mich.«
(Heißt in Wirk­lich­keit: »Ich habe Angst, dass Nähe mich auffrisst.«)

Nicht eis­kalt – nur gut gepanzert.


Frühe Autonomie – gelernt, nicht gewollt

Der ver­mei­den­de Stil ent­steht oft in Bezie­hun­gen, in denen emo­tio­na­le Bedürf­nis­se nicht gese­hen oder als »zu viel« emp­fun­den wur­den. Das Kind lernt: Gefüh­le sind unsi­cher, Nähe ist unbe­re­chen­bar. Es ent­steht ein inne­res Modell, das Auto­no­mie als Über­le­bens­stra­te­gie bevorzugt.

Die­se emo­tio­na­le Unab­hän­gig­keit ist nicht nur Fas­sa­de. Sie ist ein ech­tes Bedürf­nis. Aber sie führt oft dazu, dass Bezie­hun­gen ober­fläch­lich blei­ben oder früh enden – nicht weil kei­ne Gefüh­le da wären, son­dern weil sie nicht gezeigt wer­den können.


Nähe als Übung – nicht als Zumutung

Was hilft, ist Geduld mit sich selbst und mit ande­ren. Wer ver­mei­dend gebun­den ist, braucht Zeit, um sich sicher zu füh­len. Wich­tig ist, Nähe nicht als Bedro­hung zu deu­ten, son­dern als Mög­lich­keit, gese­hen zu wer­den – ohne sich aufzugeben.

Hilf­reich kann es sein, Gefüh­le erst für sich zu sor­tie­ren, bevor sie geteilt wer­den. Auch klei­ne Ritua­le von Ver­läss­lich­keit – etwa regel­mä­ßi­ger Aus­tausch, kur­ze Check-ins, ehr­li­ches »Ich mel­de mich spä­ter« – bau­en lang­sam Ver­trau­en auf. Nicht jede Reak­ti­on muss sofort erfol­gen. Aber sie soll­te kommen.


Die stille Seite von Bindung

Ver­mei­dung ist nicht das Gegen­teil von Lie­be. Es ist eine Form, sich davor zu schüt­zen. Wer sich zurück­zieht, tut das nicht immer aus Ableh­nung – manch­mal aus Angst, nicht hal­ten zu kön­nen, was Nähe verlangt.

In der Tie­fe die­ses Stils liegt oft eine gro­ße Sen­si­bi­li­tät – ver­bor­gen hin­ter Struk­tu­ren, die einst nötig waren, um nicht ent­täuscht zu wer­den. Wer das erkennt, kann sich lang­sam annä­hern: an sich selbst, an das Gegen­über und an das, was ech­te Ver­bin­dung wirk­lich bedeutet.


Titel­bild von: FREEP!K

PikBube
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